Sind „klimaneutrale“ Lebensmittel besser für das Klima?

Immer mehr Lebensmittel sind angeblich „klimaneutral“. Vom Verbraucherschutz kommt jedoch Kritik an solchen Auslobungen.

Die Idee der Klimaneutralität durch Kompensation beruht auf dem rechnerischen Ausgleich von effektiv produzierten Treibhausgasemissionen durch Projekte, welche andernorts Treibhausgase binden oder vermeiden, z.B. durch Aufforstung von Wäldern oder Schutz von Wäldern vor Abholzung. Die „Währung“ dieser Kompensation sind die so genannten Reduktionszertifikate. Ein Zertifikat steht jeweils für eine bestimmte Menge an Treibhausgasen, die durch ein konkretes Klimaschutzprojekt wahrscheinlich eingespart wird.

„Unternehmen, die ihre eigene oder die Treibhausgasbilanz ihrer Produkte kompensieren möchten, kaufen also gegen Geld eine entsprechende Menge an Zertifikaten, um rechnerisch Klimaneutralität zu erreichen“, fasst Silke Raffeiner, die Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Südtirol, zusammen.

Problematisch an diesem Ansatz ist, dass die tatsächlich entstandenen Emissionen durch diese Art der Kompensation nicht rückgängig gemacht werden. Zudem leisten längst nicht alle Kompensationsprojekte einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz. Foodwatch verweist auf eine Analyse, die das deutsche Öko-Institut bereits 2016 durchgeführt hat. Demzufolge würden nur zwei Prozent der analysierten Kompensationsprojekte die Treibhausgasreduktionen erbringen, die sie versprechen. Foodwatch selbst überprüfte „klimaneutrale“ Produkte verschiedener Rewe-Eigenmarken. Deren Reduktionszertifikate stammten von Eukalyptuspflanzungen für die Forstwirtschaft in Uruguay – in Monokulturen und unter Einsatz von Glyphosat – und von einem Projekt zum Waldschutz in Peru. Unter Druck stoppte der Rewe-Konzern die – vermutlich – irreführende Werbung für die „klimaneutralen“ Produkte.

Der internationale Handel mit den Kompensationszertifikaten weist zahlreiche Kritikpunkte auf. Die Kalkulation der Treibhausgaseinsparungen beruht oft auf unrealistischen, nicht überprüfbaren Annahmen und fragwürdigen Berechnungen. Das Kriterium der „Zusätzlichkeit“ trifft längst nicht auf alle Projekte zu: Kompensationsprojekte müssen eine „zusätzliche“ Einsparung erzielen, es darf nicht um Projekte gehen, die ohnehin finanziert und umgesetzt worden wären. Zudem ist der Handel mit den Zertifikaten privatwirtschaftlich und gewinnorientiert organisiert, es fehlt die Qualitätskontrolle durch unabhängige Prüfstellen. Nicht zuletzt lenkt die Möglichkeit der Kompensation von der Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen in den eigenen Betriebsabläufen und entlang der Lieferkette zu reduzieren, ab. Entsprechend wird der Zertifikatshandel auch als „Ablasshandel“ und „Greenwashing“ kritisiert. Sogar Produkten, die an sich nicht klimafreundlich sind, wie Mineralwasser in Einwegflaschen aus Kunststoff oder Fleisch, wird dadurch ein grüner Anstrich gegeben.

Verbraucherschutzorganisationen fordern ein generelles Verbot der Werbung mit „Klimaneutralität“ für Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen. Im März 2023 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie vorgelegt, welche die Verwendung von „Green Claims“, also umweltbezogenen Aussagen, auf Produkten regulieren und Verbraucherinnen und Verbraucher vor Greenwashing und irreführenden Umweltaussagen schützen soll.

Die Verbraucherzentrale Südtirol empfiehlt für den klimafreundlichen Lebensmitteleinkauf mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel, die Vermeidung von Lebensmittelabfällen in den eigenen vier Wänden und die Bevorzugung von lokal und saisonal erzeugten Bio-Produkten.

 

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